Die von der Hochwasserkatastrophe in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz Betroffenen benötigen Hilfe - jemanden, der mit anpackt, aber auch jemanden, der zuhört, Anteil nimmt, da ist. Das galt umso mehr direkt nach der Flut. Elf junge Menschen im Alter von 15 bis 21 Jahren überlegten nicht lange und machten sich auf den Weg ins Hochwassergebiet um zu helfen. Sie folgten unserem Aufruf und reisten gemeinsam mit einigen SozDia-Mitarbeitenden nur wenige Tage später in den von der Flut stark in Mitleidenschaft gezogenen Rhein-Sieg-Kreis.
Unter ihnen befand sich die Abiturientin Luisa Rehberg aus Lichtenberg, die über eine in der Jungen Gemeinde engagierte Freundin von der Hilfsaktion erfuhr. "Ich wollte lieber vor Ort mit anpacken, als nur aus der Ferne zuzusehen. Es ist ein gutes Gefühl, zu helfen", sagt sie. Auch für Student Björn Dymke, der seit kurzem die Junge Gemeinde in Schöneiche leitet, war es eine Selbstverständlichkeit, sich solidarisch zu zeigen und spontan einzubringen. "So konnte ich die Semesterferien sinnvoll nutzen", scherzt er.
Zu den Freiwilligen, die kürzlich in Odendorf, Essig und Heimerzheim anpackten, zählen auch der 17-jährige aus dem Libanon stammende Wael Nomeiri sowie der 15-jährige Emanuel Charles aus der Elfenbeinküste. Beide wohnen im Interkulturellen Jugendwohnhaus. Die jungen Männer hatten gerade Schulferien und der in einer Bäckerei jobbende Wael nahm sich extra frei, um bei den Aufräumarbeiten in den Hochwassergebieten zu helfen. "Ich möchte ja, dass wir alle in Deutschland gut zusammenleben können", sagt er. "Mit meiner Hilfe habe ich etwas Gutes für andere und für mich gemacht." Die Menschen in der betroffenen Region hat der 17-Jährige als sehr herzlich und dankbar erlebt. Wie sein Freund Emanuel würde auch er in einer ähnlichen Situation wieder Hilfe leisten. "Es ist sehr traurig, so etwas zu sehen", sagt dieser. "Alles ist kaputt. Familien können nicht in ihren Häusern wohnen bleiben."
Als sehr emotionale Erfahrung beschreibt auch Luisa ihren Einsatz. Und für Björn spiegelten die Bilder in den Medien nur zu einem geringen Teil die Situation wieder, die sie vor Ort vorfanden. "Den Geruch von Schlick und Schlamm werde ich so schnell nicht aus meiner Nase bekommen." Über ihre intensiven und berührenden Erlebnisse konnten sie sich bei abendlichen Auswertungsrunden austauschen. Auch ein weiterer Einsatz im vom Hochwasser betroffenen Gebiet wurde hier bereits angedacht. Doch zunächst kommt die durch den gemeinsamen Einsatz verbundene Gruppe bei einem Grillabend, zu dem wir alle Freiwilligen eingeladen haben, wieder zusammen.
Auf den Weg gemacht hatten sie sich in der letzten Juliwoche mit innerhalb weniger Tage von uns gesammelten Sach- und Geldspenden. Übernachtet wurde im Redemptoristenkloster in Bonn. Die dortigen Brüder hatten eigens Zimmer hergerichtet und bereiteten allen einen herzlichen Empfang. Gerade für den Muslim Wael eine besondere Erfahrung. Die religiöse Zugehörigkeit spielte hier wie auch bei den Arbeitseinsätzen, bei denen sie nicht nur auf Anwohner*innen sondern auch auf viele weitere Freiwillige trafen, keine Rolle. Es war eine große Solidarität über sonst oftmals bestehende Grenzen hinweg erleb- und spürbar. In dieser Form soziale Teilhabe und die Möglichkeit zur zivilgesellschaftlichen Mitgestaltung zu erfahren, war insbesondere für ihn, Emanuel und die drei weiteren teilnehmenden Bewohner des Interkulturellen Wohnhauses ein bestärkendes Erlebnis.
Der mehrtägige Einsatz vor Ort war körperlich und geistig fordernd. Komplette Küchen und Bäder mussten abmontiert oder mit roher Gewalt entfernt werden. Ganze Böden und Wände wurden herausgeschlagen, Schutt und triefnasse Matratzen, aber auch persönliche Gegenstände wie Bilder oder Fotoalben aus den Häusern getragen. Und viele der ehemaligen Besitzer*innen, häufig ohne Elementarversicherung vor den Trümmern ihrer wirtschaftlichen Existenz, waren verzweifelt und wollten auch reden. Und während sich die schmerzenden Hände und Rücken der am Hilfseinsatz Beteiligten inzwischen erholt haben, wird das Erlebte in ihren Köpfen wohl noch lange nachhalten.
Die Flutopfer brachten den jungen Helfer*innen ihre tiefe Dankbarkeit entgegen. Jedes Mal wurde ihnen gesagt, dass ihr Arbeitseinsatz enorm geholfen habe. Auch Tränen flossen. Diese Wertschätzung und Anerkennung für die über sich hinauswachsenden Jugendlichen war immer wieder vor Ort spürbar.
Auch Nina Kirch, die strategische Leitung unserer Stiftung, ist stolz auf die jungen Menschen, denen oftmals unterstellt wird, nur an sich zu denken, in digitalen Welten zu leben und sich nicht für ihre Nachbarschaft zu interessieren. Die spontane Einsatzbereitschaft der elf Jugendlichen und jungen Erwachsenen zeigt jedoch einmal mehr, dass dem nicht so ist und von dieser Generation durchaus gesellschaftliche Verantwortung übernommen wird - einer Generation, die oft hintenansteht und die erst kürzlich selbst zahlreiche Entbehrungen durch Lockdown und Kontaktbeschränkungen hatte hinnehmen müssen. "Es ist immer wieder aufs Neue motivierend für uns und unsere Arbeit, wenn wir sehen, wie engagiert, tatkräftig und mit welcher Selbstverständlichkeit Heranwachsende ihre Zeit nutzen, um anderen zu helfen und so politisches, gesellschaftsrelevantes Handeln konkret erleben. Das ist SozDia - darum machen wir diese Arbeit."
Dem SozDia-Leitungsteam war es - wie schon beim Elbe- und Oder-Hochwasser, wenn eine Naturkatastrophe fast vor der Haustür Menschen und Tiere in eine solch dramatische Situation bringt - selbstverständlich, Unterstützung anzubieten. Und so fassten wir bei der SozDia auch dieses Mal den Entschluss, kurzfristig vor Ort zu helfen. "Gesellschaft gestalten können wir ja nur im konkreten Tun und Anpacken, das wollten wir anregen und ermöglichen", so Nina Kirch.
Die kürzlich von ihr auf die Beine gestellte Hilfsaktion macht sichtbar, wie wichtig das Engagement von Jugendlichen und jungen Erwachsenen und deren Möglichkeit zu Teilhabe und Mitgestaltung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt ist. Wir alle sind gefragt, umgekehrt die jungen Menschen nicht zu vergessen - zählen sie doch bislang zu den großen Verlierern der Pandemie und werden auch die Hauptlast des Klimawandels tragen, unter anderem mit einer zunehmenden Zahl an Überschwemmungen. Ihnen gehört die Zukunft: Sie haben eine gute verdient.